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U.Wirtz: in: Intra, Psychologie und Gesel schaft, 1997 Kontroverse um eine neue Methode zur Behandlung traumatischer Störungen Mit EMDR -Eye Movement Desensitization and Reprocessing-(Augenbewegung,Desensitivierung und Neuverarbeitung traumatischer Erfahrungen) ist in den letztenJahren in USA eine vielgepriesene, aber auch scharf kritisierte Behandlungsmethode fürposttraumatische Belastungsstörungen ins Zentrum heftiger ideologischer Debattengerückt.
Ist diese immer noch relativ unverstandene Methode wirklich nur eine geschicktvermarktete, methodisch naive und pseudowissenschaftlicheBehandlungsmethode, wie viele Kritiker meinen, oder hat Francine Shapiro 1987 mit ihrerEntdeckung der Bedeutung saccadischer Augenbewegungen für die Verarbeitungtraumatischer Erinnerungen revolutionäres Neuland betreten? Ursula Wirtz ,Psychotherapeutin mit einem Schwerpunkt in der Psychotraumatologie, hat genau wissen wol en,ob sich hinter dem Medienrummel um dieses hochgelobte neue Behandlungsinstrument etwas wirklich Brauchbares für 100 TeilnehmerInnen mit klinischer Erfahrung in psychotherapeutischen Verfahren,ÄrztInnen und niedergelassene PsychologInnen,haben sich im Hotel Grand Hyatt in NewYork zu einem Trainingsseminar eingefunden, um sich hier mit einer neuen Methodevertraut zu machen , die verspricht,angstkorrelierte Beschwerden, Flashbacks, Alpträumeund das ganze Spektrum posttraumatischer Belastungssymptome besonders effektiv zubehandeln.
Es sind vor allem TherapeutInnen, die mit Katastrophen,Kriegs-und Folteropfernarbeiten,aber auch KollegInnen,die in ihrer Praxis häufig mit sexuel em Missbrauchkonfrontiert sind,die in diesem Trainingsseminar EMDR kennenlernen und für sich selbsterproben wollen.
Da die Psychotraumatologie noch relativ unerforscht ist und die herkömmlichenpsychotherapeutischen Verfahren bei den posttraumatischen Störungen nur unzureichendgreifen,ist die Suche nach neuen Methoden für die immer häufiger gestel te Diagnose derposttraumatischen Belastungsstörung gut verständlich.Al e Teilnehmenden scheinenneben einer gewissen Neugier und Offenheit auch eine gehörige Portion Skepsismitzubringen,denn die frappierenden Erfolge mit EMDR in nur wenigen Sitzungenscheinen auf den ersten Blick mehr den Charakter von Wunderheilungen zu haben ,alsdass es um seriöse therapeutische Aufarbeitung und Integration traumatischer Inhalteginge.
EMDR soll zu einer auffäl ig raschen Durcharbeitung traumatischer Erinnerungen führenund signifikante Reduktion von Angst und depressiven Gefühlen in nur 4 bis 6 Sitzungenzu je 75 Minuten bewirken.Kein Wunder, dass die psychoanalytische Zunft vor Neiderblasst,mokieren sich die Medien,da PsychoanalytikerInnen sich seit Jahren mitposttraumatischen Störungen befassen, ohne solche Erfolge verbuchen zu können.
Mit EMDR würde aber nicht nur eine beschleunigte Verarbeitung traumatischerErinnerungsfragmente ermöglicht, sondern auch eine kognitive Umstrukturierung ,dasheisst eine Neubewertung und veränderte Einstel ung zu sich selbst und den eigenenRessourcen.Für die Traumatherapie ist das besonders relevant,denn traumatische U.Wirtz: in: Intra, Psychologie und Gesel schaft, 1997 Erfahrungen bedeuten immer auch eine schwere Beschädigung des Selbstwertgefühls.DieErfahrung von Hilflosigkeit und totaler Ausgeliefertheit stellt eine massive Kränkung undVerletzung für das eigene Selbstbild dar und führt häufig zu sehr negativen generalisiertenEinstellungen Bewältigungsmöglichkeiten beeinträchtigen, im Sinne von: ich bin schwach, ich binwertlos,ich bin selber schuld usw.Mit EMDR soll nicht nur die quälende Symptomatikeiner verändernde,positive Wirkung haben.
Wunderkur oder effektives Behandlungsinstrument? Wenn die KollegInnen auch nicht die "Wunderkur" erwarten, zu der die Presse EMDRgekürt hat, so sind doch Hoffnungen auf ein starkes neues Behandlungsinstrument zurErleichterung menschlichen Leidens geweckt worden,seit ein fachlich kompetenterTraumaforscher, wie zum Beispiel Bessel van der Kolk, positiv kommentiert hat, dass diesiebenjährigen Erfahrungen mit EMDR diese Methode als ein effektivesBehandlungsinstrument für PTSD ausweisen.Auch Charles R.Figley, Herausgeber derReihe "Psychosozialer Stress",sagt diesem neuen Behandlungsinstrument,dass es zueinem Paradigmawechsel in unserer Konzeptualisierung traumatischer Erfahrungen führenwerde.Im Rahmen der Behandlung von Vietnam-Veteranen ist EMDR als die effektivsteBehandlungsmethode bei dissoziativen Episoden,Alpträumen und überflutendenErinnerungsbildern genannt worden (H.Lipke,North Chicago)und an der renommierten Menninger Clinic ist sie eine wesentliche Komponente in derTraumatherapie. Der bekannte Verhaltenstherapeut Josef Wolpe, hat diese Methode sogarals eine der "grösseren neuen Ressourcen für die Verhaltenstherapie" bezeichnet.
Video/Demonstrationen und Übungen in Kleingruppen, in denen die Methode mitvorgegebenen standardisierten Übungsblättern unter der Begleitung und Anleitung vonsogenannten facilitators ausprobiert wird.
In einer tour de force,stellt William Zangvill,promovierter klinischer Psychologe mit demBehandlungsschwerpunkt PTSD,Paar- und Sexualtherapie, Theorie und Methodevor.KollegInnen, die mit dem Tempo des Referenten etwas Mühe haben, blättern zumNachlesen in dem vom EMDR Institut in Pacific Grove herausgegebenen Leitfaden , derallen Teilnehmenden zur Verfügung gestel t wird.Die wenigsten haben sich bereits mitdem 1995 von Francine Shapiro veröffentlichtem Buch "Eye Movement Desensitizationand Reprocessing.Basic Principles, Protocols, and procedures" auseinandergesetzt.
Die Psychologin F.Shapiro,ausserordentliches Forschungsmitglied am Mental ResearchInstitut in Palo Alto, Kalifornien und Begründerin dieser Methode, war bereits 1987 eherzufäl ig auf die Bedeutsamkeit und Wirkung rhythmischer Augenbewegungengestossen,während sie an sich selbst beobachtet hat e, wie eigene schmerzhafte undbedrückende Erinnerungen und Gedanken an Intensität abnahmen, als ihre Augen sich aufeinem Spaziergang im Park spontan von einer Seite zur anderen Seite bewegten.
Das daraus abgeleitete therapeutisch eingesetzte Verfahren bestand ursprünglichdarin,dass die TherapeutInnen in einem gewissen Abstand vor den Augen derPatientInnen ihre Finger horizontal hin- und herbewegten und die Patientinnenaufgefordert wurden,diesen Handbewegungen mit ihren Augen zu folgen.
U.Wirtz: in: Intra, Psychologie und Gesel schaft, 1997 In späteren Untersuchungen erwies sich, dass nicht nur die Augenbewegungen, sondernauch beidseitige akustische oder sensorische Stimulationen (Antippen der Hände oderSchnippen mit den Fingern) therapeutische Wirkung hatten Die hirnphysiologischen Hintergründe der Wirksamkeit bilateral wechselnder Sinnesreizesind noch ungenügend erforscht,sodass die Arbeitshypothesen, warum EMDR sowirksam ist ,auf noch wackeligen Füssen stehen.So wird zum Beispiel angenommen, dasstraumatische Erfahrungen biochemische Veränderungsprozesse im Hirn verursachen, diesich auf den Informationsverarbeitungsprozess und damit auf Affekte,Wahrnehmungen, Überzeugungen und Bedeutungen des traumatischen Geschehens blockierendauswirken.EMDR ist in diesem Erklärungsmodel eine Methode beschleunigterInformationsverarbeitung,die zu einer Entblockierung führt, weil die rhythmischebilaterale Stimulierung eine verbesserte Kommunikation der verschiedenenHirnhemisphären auslöst.(Nicosia 1994) Solche Überlegungen stehen im Kontext neuesterGedächtnisforschung, wo davon ausgegangen wird, dass traumatische Erfahrungen zueiner Unterfunktion des Broca Zentrums im Hirn führen, das für die Versprachlichung vonErlebnissen zuständig ist,während gleichzeitig die rechte Hemisphäre überaktiv wird, diefür die bildhafte und intensive emotionale Verarbeitung verantwortlich ist.(van der Kolk)Im Trainingsseminar fäl t auf, dass im Verhältnis zu der noch unklaren theoretischenAusgangslage und den recht unterschiedlichen Wirksamkeitshypothesen wenig Fragengestellt werden.Die TeilnehmerInnen scheinen alle mehr an praxisorientiert und lebensichtlich auf,wenn in eindrucksvollen Videodemonstrationen die veränderteBefindlichkeit der PatientInnen nach der Behandlung mit EMDR spürbar wird.
Erfreulicherweise korrigiert der Einblick in die konkrete therapeutische Arbeit meinebesorgten Phantasien über das Menschenbild und die Haltung von EMDR -Therapeutengegenüber PatientInnen, die von dem Vortragsstil des Trainingleiters, seiner glatten,suggestiven Rhetorik und Machbarkeitsideologiebei mir geweckt wurden.
In den folgenden Kleingruppenübungen verliert die ursprünglich mysteriös anmutendeMethode viel von ihrem Fremdheitscharakter, denn Elemente der kognitivenPsychologie,der Verhaltenstherapie und des NLP bilden den festen Bestandteil einesSitzungsablaufs.
Zuerst werden die PatientInnen angemessen vorbereitet.Dazu gehört ! Erstel ung eines Behandlungsplans ! Erarbeiten von Entspannungsmöglichkeiten ! Visualisierung eines sicheren Ortes,an dem die PatientInnen sich sicher und geborgen ! Verabredung eines Stop-Zeichens,zum Beispiel einer Handbewegung,wenn PatientInnen den Ablauf unterbrechen wol en. 1. Dann beginnt die eigentliche Sitzung mit der Frage, an welcher belastenden Erinnerung 2. Die KlientIn wird angeleitet sich zu dieser Erinnerung ein Bild,eine Stimme,einen Geruch vorzustellen,etwas, das diese belastende Erinnerung am besten repräsentiert.
3. Dann wird die dazugehörige negative Überzeugung über sich selbst,die mit diesem Ereignis einhergeht, zum Beispiel eine aktuelle unangenehme Verbalisierung:ich binwertlos,schlecht.erfragt.
U.Wirtz: in: Intra, Psychologie und Gesel schaft, 1997 4. Gemeinsam mit dem Therapeuten wird dann eine positive Selbstkognition gesucht,die an Stelle der negativen Kognition angesichts dieses gleichen traumatischen Bildesgewünscht wird (ich bin liebenswert,ich bin wertvoll) 5. Dann versucht die KlientIn mit Hilfe der Wahrheitsgrads-Skala (VoC-Validity of Cognition) einzuschätzen ,inwieweit diese positive Kognition jetzt für sie Gültigkeithat -von 1 (völ ig unzutreffend) bis 7 (völ ig treffend) 6. Jetzt wird das Ursprungsbild noch einmal mit der negativen Kognition assoziiert und nach dem Grad der emotionalen Belastung gefragt, wobei auch dieser Störungsgrad mitHilfe einer Skala (Subjectic Units of Disturbance SUD)von 10 (höchster Störungsgrad)bis 0 (emotional neutral) ermittelt wird.
7. Dann versucht die KlientIn ihren Körper innerlich abzutasten, um zu erspüren, wo diese emotionale Bedrückung im Körper angesiedelt ist.
8. Erst jetzt beginnt die eigentliche Desensibilisierung.Während die KlientIn auf die belastenden Erinnerungen fokussiert, folgt sie mit den Augen den waagerechtenFingerbewegungen des Therapeuten,der nur gelegentlich ein bestätigendes Wort sagt:gut so,bleib dabei.Nach einem Set (ca 20-30) erst langsamer,dann rascherer bilateralenBewegungen wird die KlientIn gefragt: was ist jetzt? was nehmen Sie jetzt wahr? Inder Regel verändern sich Bilder,Kognitionen,Emotionen und Körpererleben 9. In der dann folgenden Installationsphase,die erst beginnt, wenn der Emotionsgrad auf der SUD-Skala mit 0 oder 1 angegeben wird,wird die positive Kognition mit dem Bildverbunden und die Augenbewegungen so lange wiederholt,bis auch auf derWahrheitsgrad-Skala ein Level von 6 oder 7 erreicht ist.So wird die assoziierteErinnerung mit der positiven Kognition verbunden.
10. Zum Abschluss wird noch einmal der ganze Körper innerlich abgetastet, um restliche 11. Ein Debriefing der KlientIn beendet die Sitzung.Die TherapeutInnen weisen darauf hin,dass die Informationsverarbeitung auch noch nach der Sitzung fortgesetzt werdenkann und möglicherweise starke Affekte und Träume auftauchen,die in der nächstenSitzung bearbeitet werden können.
Zu Dritt beginnen wir zu üben und machen erstaunliche Erfahrungen,von denen aberletztlich nicht sicher ist, ob die aufgeheizte Erwartungshaltung,die Suggestion , derGruppendruck (wir üben gemeinsam mit 100 Personen) oder unsere noch etwas holprigenFinger- und Augenbewegungen für veränderte Emotionen und Kognitionen verantwortlichsind.
Viele Fragen nach der Wirksamkeit bleiben offen.Besonders fragwürdig erscheint mir,obdiese als sehr potent gepriesene Methode in einer Art Schnellbleiche (2 Workshops zu jezweieinhalb Tage ) für 375 Dollar pro workshop wirklich zu erlernen ist und ob dasDrängen des Trainers, in der nächsten Woche sofort mit einigen PatientInnen in der Praxisdas Gelernte auszuprobieren von wirklich klinischer Verantwortung zeugt.Einesorgfältigere, längerfristige und fundiertere Einweisung in diese Methode sol te erfolgen,denn diese amerikanische Art möglichst rasch,möglichst viele relativ oberflächlichauszubilden,wirkt sich letztlich negativ auf die Glaubwürdigkeit und Seriösität diesesBehandlungsinstrumentes aus.
Die Kritik hat sich darum auch an dieser kommerzialisierten Vermarktung aufgehängt,hatdie unzureichende Konzeptualisierung bemängelt und die Methode als Hokuspokus undWinke-Winke-Therapie gegeisselt.Vielleicht schwingt aber auch in manchen bösartig U.Wirtz: in: Intra, Psychologie und Gesel schaft, 1997 erscheinenden Verrissen dieser Methode (Jef rey Lohr) eine Haltung mit, dass nicht seinkann, was nicht sein darf.
Tatsache ist die rasche Verbreitung von EMDR (20.000 Psychotherapeuten mitPraxisbewilligung sind international bereits in dieser Methode ausgebildet) ,die Gründungeines Netzwerkes für mit EMDR arbeitenden TherapeutInnen und der Aufbau einesNetzwerkes in Europa (Deutschland,Holland,England) ,mit dem Namen EMDRIA.
Kontrol ierte Effizienzstudien(Graphik)Die inzwischen zahlreichen publizierten Erfolgsstudien mit Kontrollgruppen beiTraumapatientInnen,PatientInnen Vietnamveteranen in einer Klinik und 100 Opfern des Hurrikans "Andrew" in Floridazeigten signifikante Verbesserungen bei der Behandlung mit EMDR.In Deutschland hatDr. Arne Hofmann an der Klinik Oberursel eine prospektive Studie mit 8 PatientInnendurchgeführt, die auf einer Psychotherapiestation mit EMDR behandelt wurden.(Diagnose: chronische posttraumatische Belastungsstörung).In durchschnittlich 4EMDR Sitzungen wurde bei 7 der patientInnen eine signifikante Abnahme der subjektivenSchmerzhaftigkeit (SUD) erreicht.Die SUD-Werte von 17 traumatischen Erinnerungenfielen von durchschnittlich 6,5 auf 0,9 ab (p<0,001) Aber auch andere traumabedingteBeschwerden abgeschwächt.Die Nachkontrol e erwies den Behandlungseffekt nach 3 und 6 Monaten als stabil.(Die Studie ist publiziertin:Psychotherapeut(1996) 41,Springer Verlag)Interessant erscheint mir die Beobachtung von Hofmann, dass ein "synergistischer Effektder 'Einbet ung' der EMDR-Sitzungen in ein psychodynamisch orientiertesPsychotherapiesetting" festzuhalten war.Es ist auch mein Eindruck,dass dieses Verfahrenim Kontext tiefenpsychologisch orientierter Psychotherapie wirksam eingesetzt werdenkönnte, da die bei der Behandlung mit EMDR auftauchenden Assoziationsketten mitanderen traumatischen Erinnerungen, die ähnliche Affekte und Selbstaussagen auslösen,inanschliessenden Gesprächen aufgearbeitet und integriert werden können.Die auf dieEMDR -Sitzungen oft folgende intensive Traumtätigkeit kann für den weiteren Verlaufder Therapie fruchtbar gemacht werden.
Bedeutsam scheint mir auch der Einsatz dieser Methode in Kriegsgebieten.Bei meinerArbeit in Ex-Yugoslawien bin ich im Krieg PsychologInnen begegnet,die vonamerikanischen EMDR-Therapeuten auch für die Behandlung von kriegstraumatisiertenKindern ausgebildet worden sind.
Weiteren empirischen Untersuchungen, vor allem aber einer theoretischen Untermauerungdieser Methode ist mit Spannung entgegenzusehen.
Ursula Wirtz, Belsitostr.9,8044 Zürich oder im Web auf den Trauma Info Pages, zusammengerstel t von David Baldwin

Source: http://www.wirtz.ch/texte/EMDR%20das%20neue%20Prozac%20der%20Traumatherapie.pdf

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